Über die Anhaftung, die Ablösung und die oft vergeblichen Loslass-Übungen, Teil 1

«Etwas loswerden zu wollen ist der sicherste Weg, es an sich zu binden.»

Wer kennt sie nicht, die zahllosen und vielversprechenden Loslass-Übungen …

Loslassen sollten wir geliebte Menschen, lästige Angewohnheiten, belastende Verhaltensmuster, tieferliegende Verletzungen, das Eigenheim, den nervigen Nachbarn, den verstorbenen Hund oder was auch immer. 

In Aussicht gestellt werden, wenn Du Dir nur richtig Mühe gibst und Dich genügend anstrengst, Glück, Freiheit, inneres Gleichgewicht und Frieden. Und falls Du das langersehnte und nachhaltige Glück nirgends gefunden hast, hast Du Dich wohl noch nicht ausreichend angestrengt, noch nicht genug losgelassen, etwas noch nicht begriffen, und musst dann halt nochmals von vorne anfangen. Echt jetzt…? 

Wie oft hast Du erfahren, dass es irgendwie nicht so richtig klappt mit dem Loslassen und das Vorhaben bestenfalls in einer Verdrängung endete…? Wollen wir mit dem Versuch des Loslassens nicht auch etwas loswerden, weg haben, von uns abtrennen…? Und ist das überhaupt möglich? Ist das wirklich SINN-voll?

Stell Dir mal vor, Du wärst untrennbar – über ein Gummiband – mit dem, was Du loslassen willst, verbunden. Du wärst an einem Ende, das Loszulassende am anderen. Nun rennst Du mit voller Kraft und erheblicher Anstrengung in die entgegengesetzte Richtung von dem, was Du loslassen willst. Ironischerweise verfolgt Dich das Loszulassende auf Schritt und Tritt und je stärker das Wegrennen, desto schneller ist es Dir auf den Fersen. Da gibt es kein Entrinnen.

Obwohl diese bildliche Beschreibung logisch erscheint, ertappen wir uns bei ehrlicher und genauer Betrachtung dabei, dass wir hie und da Bereiche in unserem Leben erkennen können, die uns immer wieder – auf teils unangenehm aufdringliche Art – das andere Ende des Gummibandes buchstäblich um die Ohren fliegen lassen. Und je mehr wir uns bemühen `es` loszuwerden, desto näher und aufdringlicher schreit es uns aus immer kürzerer Distanz mitten ins Ohr. Was für ein Graus …! Und je kraftvoller wir strampeln, desto näher rückt es – als seien wir bis in alle Ewigkeit untrennbar verbunden.

Nun ja, es ist eben so … Wir sind untrennbar mit der Angelegenheit verbunden. Vielleicht nicht bis in alle Ewigkeit, jedenfalls am stärksten in den Momenten, in denen wir mit Volldampf `das da` loswerden wollen …

Nach dem hunderttausendsten Flucht-Versuch und nach enormer Kraftaufwendung, teilweise leider erst nach knallharten Bruchlandungen, wird uns unmissverständlich klar, dass wir wohl in die verkehrte Richtung laufen. Und an dem Punkt könnten wir merken – tun es leider oft nicht –, dass wir ja einmal den Versuch starten könnten, einfach mal NUR und in notwendigem Sicherheitsabstand zum anderen Ende des Gummibandes, stehenzubleiben. 

Das erfordert Mut, grosse Achtsamkeit uns selbst gegenüber und es kann sehr hilfreich sein, jemanden an der Seite zu haben, der erkennt, wann wir die Spannung im Gummiband wieder erhöhen, jemand, der uns in dem Moment daran erinnert, dass der erneute Flucht-Versuch vergeblich ist und uns darin unterstützt, einfach nur stehenzubleiben, um nach und nach das Schreckgespenst am anderen Ende des Gummibandes zu erkunden.

Corinne Faenzi

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