Über Meinungen und Sand am Meer

Beurteile nie einen Menschen,
bevor du nicht mindestens einen halben Mond lang seine Mokassins getragen hast.“

Indianisches Sprichwort

Kein Tag vergeht, an dem wir nicht mit Meinungen konfrontiert werden. Kein Tag vergeht, an dem wir selbst, uns nicht eine Meinung bilden. Und kein Tag vergeht, an dem Menschen völlig blindlings eine Meinung übernehmen und sie lauthals nach aussen tragen. Meinungen gibt es tatsächlich wie Sand am Meer und bringen Gefühle der Zusammengehörigkeit, des verstanden Werdens, der Sicherheit, des Glücks aber auch viele Herausforderungen, Ärgernisse, Streitereien und Kriege mit sich. Demnach scheint es, als ob die `Welt` ein grosses Biotop von Meinungen sei. 

Solange wir die gleiche Meinung teilen, ist alles in Ordnung. Sobald aber die Meinungen auseinandergehen, begeben wir uns oft unbewusst und schleichend in die Arena, um mit Schwert und Lanze das Gegenüber von der eigenen Meinung zu überzeugen oder gar den anderen für dessen Meinung zu bekämpfen. 

Im Eifer des Gefechts bemerkt leider kaum einer, dass dadurch die Spaltung unter den Menschen auf effiziente Weise gefördert und aufrechterhalten werden kann und wird. Und noch weniger Menschen bemerken, dass sie dieses Spiel tagtäglich aufrechterhalten – obwohl sie glauben und meinen, es durchschaut zu haben.

Es ist sehr sinnvoll, die Bedeutung des Begriffs `Die Meinung` einmal genauer zu betrachten. Gemäss Duden wird das folgendermassen definiert: «persönliche Ansicht, Überzeugung, Einstellung oder Ähnliches, die jemand in Bezug auf jemanden, etwas hat (und die sein Urteil bestimmt)».
Das Meinen beschreibt einen Glauben, eine Annahme, ein Fürwahrhalten, dem teilweise sowohl subjektiv als auch objektiv eine hinreichende Begründung fehlt. Dadurch unterscheidet sich das Meinen vom Wissen. 

Der Unterschied zum Wissen besteht darin, dass der Wissende nicht nur von der Wahrheit der Aussage überzeugt ist, sondern auch über umfangreiche Kenntnisse oder eine objektiv zureichende Begründung dafür verfügt.
Somit kann und muss der Wertgehalt einer Meinung richtig erkannt und definiert werden und die Meinung auch als Meinung, Glaube oder eigenes Fürwahrhalten – und nicht wie leider oft als Wahrheit – bezeichnet werden.

Die Menschen messen grundsätzlich, völlig unbewusst und aufgrund des eigenen Für-wahr-haltens, der gemachten Erfahrungen, Geschichte und Sozialisation, der Meinung anderer sehr viel Gewicht bei. Bei übereinstimmenden Meinungen fühlen wir uns bestätigt, ermutigt, berührt, usw. Je stärker jedoch die Standpunkte voneinander abweichen, desto mehr bedarf es einer grossen Wachheit, einer schnellen Selbstreflexion und Selbstbeherrschung, damit wir uns von der Arena fernhalten, in der wir die Meinung als vermeintliche Wahrheit und geglaubtes Wissen, im wahrsten Sinne des Wortes, ver-treten. 

So steht ein wirklich selbst denkender und eigenverantwortlich handelnder, dem Frieden dienender Mensch eines Tages splitternackt vor dem Spiegel und damit vor der an ihn selbst gerichteten Frage, ob er dieses Spiel von `Teile und Herrsche` denn tatsächlich und tagtäglich mitspielen will oder ob er, so er denn seinen Denker in ihm im Zaum halten will und überhaupt zu halten vermag, aus diesem seit Urgedenken vorherrschenden Hamsterrad des Meinens, des Glaubens und des Kriegens aussteigen will oder nicht.

Um diesem Hamsterrad zu entsagen, bedarf es einer anderen Identifikation als die Identifikation mit dem eigenen Für-wahr-Halter, Denker, Ego. Wer sich selbst als das erfährt, was er in Wirklichkeit IST und sich dadurch vom oft alles dominierenden Verstand lösen kann, erfährt, dass, egal welche Meinung er vertritt oder welche Meinung ihm unterbreitet wird, er im Stande ist, dieses Für-wahr-halten oder diesen Glauben als solches/solchen zu erkennen und zu etikettieren. 

Es gestaltet sich auf diese Weise viel einfacher, keinem Reaktionsmuster (Verteidigung, Angriff, Kampf) auf eine Meinung zu erliegen und in diesem Moment sind wir aus dem Hamsterrad des Prinzips von `Teile und Herrsche` ausgetreten und folgen dem Weg des Friedens.

Meinungen gibt es wie Sand am Meer … 

Höchste Vorsicht ist geboten, wenn Meinungen als Wahrheiten angepriesen werden, denn dann ist deren allgemeingültigen Wertgehalt oftmals so niedrig, wie derjenige von industriell hergestellten Lebensmitteln oder einfach ausgedrückt: Füllstoffen. Meinungen können oft als Füllstoffe für das Ego bezeichnet werden, damit wir von uns glauben, eine bestimmte Identifikation, eine Zugehörigkeit und damit einhergehend einen bestimmten Wert zu haben. Doch solange wir unseren eigenen Wert nicht auf andere Weise erfahren, wird der Friede auf Erden wohl bestenfalls ein hoffnungsvoller, dünner Silberstreifen am Horizont bleiben. Sobald wir uns aber auf die innere Suche nach unserem wahren Sein, unserem Kern, nach der Verbindung mit dem Gottesfunken in uns machen, nehmen wir immer deutlicher wahr, dass der Sand, nehmen wir ihn in unsere Hände, leise durch unsere Finger rinnt.

Corinne Faenzi

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