Vom Zuhören zum Hinhören

«Hast du mir denn nicht zugehört?» Wer kennt ihn nicht, diesen verhängnisvollen Satz? Und wer kennt die verheerenden Folgen nicht, die diese Worte, kaum sind sie über die Lippen gehuscht, haben können?

Offensichtlich lohnt es sich sehr, das Ganze einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Wie die Worte `zu-hören` und `hin-hören` bereits deutlich beschreiben, lässt sich ein grosser Unterschied erkennen. Der Unterschied ist auf der Verstandesebene vermutlich von den meisten Menschen relativ schnell ausgemacht. Achten wir nun noch auf die Körperempfindung, wenn wir diese zwei Begriffe entweder laut aussprechen oder nur innerlich vorsagen, können wir hier klare und entgegengesetzte Qualitäten erkennen. 

Wo das `Hinhören` ein weites und offenes Körperempfinden, beispielsweise im Herzen, bewirkt, löst das `Zuhören` eher Enge und Härte aus. Zudem lässt das `Hinhören` wie von selbst eine Neugierde auftauchen, während das `Zuhören` den Analytiker, den Verstand aktiviert. 

Und genau darin liegt der grosse Unterschied.

Möchte ein Mensch uns etwas anvertrauen, kann es sehr schnell geschehen, dass wir eher zuhören als hinhören und uns entgeht oft, was das Gegenüber mit uns teilen (uns mitteilen) möchte. In solchen Situationen entstehen nicht selten Abwehrreaktionen, Missverständnisse oder wir überschütten das Gegenüber vielleicht mit sicherlich gut gemeinten Ratschlägen, die es aber eigentlich nicht gesucht hat und vermutlich gar nicht hören will. Berechtigterweise. Bei gründlicher Betrachtung können die «Schläge des Rats» manchmal viel mehr ein Gefühl des Unverstandenseins und der Verwirrung, als eine hilfreiche Entwirrung und Orientierung zur eigenen Wegesfindung hinterlassen. Einen Rat nehmen wir doch meist nur gerne an, wenn wir ausdrücklich danach gefragt haben.

Was nun?

Es ist ganz einfach.

Wenn wir unsere Aufmerksamkeit im Gespräch mit einem Menschen auf unser Herz lenken und uns ganz bewusst auf unsere Körperempfindung und allenfalls auftauchende, innere Bilder konzentrieren, sind wir weg vom Verstand und vollkommen im Körper, im Gewahrsein. Während dieser Art des `Hinhörens` verzichten wir bewusst auf Fragen, Einwände oder Empfehlungen, sondern bleiben ganz in unserer Körperempfindung. 

Es lässt sich feststellen, dass wir während des `Hinhörens` ein viel grösseres Spektrum dessen erfahren, was der Sprecher uns mitteilt, als wenn wir `zuhören` und im ständigen Denkprozess sind. Wir machen so dem Menschen eines der wertvollsten Geschenke überhaupt: Erkannt und bedingungslos angenommen zu sein.

Zudem ist das `Hinhören` für uns vollkommen frei von jeglicher Anstrengung und selbst vorwurfsvolle und angriffige Äusserungen können als das wahrgenommen werden, was sie sind: Beschreibungen des Gegenübers über seinen jetzigen Gemütszustand, seine Wahrnehmung und sein Für-Wahr-Halten. Mehr nicht.

Achten wir im Austausch mit Menschen vermehrt auf unsere Art des Hörens, tragen wir massgeblich zum Frieden bei und kultivieren ein respektvolles Miteinander. Wollen wir Frieden auf Erden, sind wir dazu aufgefordert, zuerst Frieden in den kleinsten Strukturen zu leben – in uns und mit dem Gegenüber.

Corinne Faenzi

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